19. 03. 2010
von Ingo Hermes

Knebeln tut Kunden weh, Kritik tut Kollegen gut

WILDESHAUSEN – Wer nicht nur Mitarbeiter beschäftigt, sondern auch Kinder hat, verlebte am Mittwoch einen doppelt lohnenden Abend.„Denn was ich Ihnen hier über den Umgang mit Ihren Angestellten erzähle, nehmen Sie bitte eins zu eins für Ihre Kindererziehung mit“, riet Personaltrainer Torsten Koschnitzke den mehr als 200 Besuchern im Dötlinger Hotel „Gut Altona“. Dazu zähle nicht nur, regelmäßig Lob zu verteilen: „Viele Chefs sind schlechte Rückmelder“, urteilte der Wildeshauser Unternehmensberater. Aber: „Mitarbeiter wollen auch mal kritisiert werden.“ Damit meinte er nicht das „Zusammenfalten vor versammelter Mannschaft“: „Jeder Hirnamputierte weiß, dass das schlecht ist.“ Wenn aber der Beschäftigte unter den Augen des Chefs einen Kunden mangelhaft betreut, müsse später ein Vier-Augen-Gespräch folgen. „Sonst denkt jeder, so weitermachen zu können.“

Groß angelegte Kundenfreundlichkeits-Steigerungs-Verfahren mit Zertifizierungen nach „DIN ISO 9 000“ treiben dem Referenten hingegen den „Draht aus der Mütze: Solche Verfahren kosten ein Schweinegeld, füllen mehrere hundert Seiten im Aktenordner – und ausgerechnet der TÜV zertifiziert dann den Betrieb. Kundenfreundlichkeit und TÜV – ein Widerspruch in sich.“ Stattdessen regte er den Blick auf die Basis am Ladentisch an: Den Mitarbeiter selbst bezeichnete Koschnitzke als engste Bezugspersonen zum Kunden – und als Differenzierungsmerkmal im knallharten Wettbewerb.

Gute Beratung und Wiedererkennungswert im Laden bilde gewichtige Gegenstücke zu Discountern mit ihren Rabattschlachten. Derartige Preistreiberei berge Gefahren für den Arbeitsplatz: „Wenn es nur um ,Geiz ist geil‘ geht, können wir den Service ausschalten – und damit auch den Mitarbeiter.“ Eindringlich warnte der weit gereiste Trainer namhafter Konzerne wie Telekom oder Hilton zudem vorm Einschleichen von Routine oder der „Früher-war-alles-besser“-Einstellung: „Unser heutiger Alltag darf mit der Dienstleistungsgesellschaft von damals nichts mehr gemeinsam haben.“ Oder wenigstens fast nichts: Das gute alte Rabattmarken-System bezeichnete er als „erstes intelligentes Kundenbindungsprogramm“.

Heute komme dies als „Payback“ und „Happy Digits“ wieder. Dringend riet er jedoch davon ab, Kunden durch Knebelverträge mit Mindest-Laufzeiten fesseln zu wollen: „Das hört sich schon gewalttätig an und tut weh. Jeder wird aus dieser Situation schnellstmöglich flüchten.“ Jeder Normalbürger trage hingegen ein Negativ-Rabattmarken-Heft im Hinterkopf mit sich. Funktioniert ein Geldautomat nicht oder frisst sogar die Karte, kämen einige Marken zusammen. Die Verbraucher brächten eben mehr Selbstsicherheit mit, und das sei gut so: „In den 80-er oder 90-er Jahren ging man noch mit Schlips und Kragen zur Bank. Heute können Sie alle beim Betreten der Commerzbank sagen: Hey, Ihr gehört mir!“, verdeutlichte er mit Blick aufs durch Steuergelder gestützte Institut.

Nach 90 Minuten hatten die Besucher der gastgebenden Mittelstandsvereinigung (MIT) und des Handels- und Gewerbevereins Wildeshausen (HGV) viel gelernt und gelacht. HGV-Vorsitzender Bernhard Block hatte das schon im Vorgespräch geahnt: „Herr Koschnitzke kommt stark 'rüber. Wenn so ein Super-Fachmann in Wildeshausen ansässig ist und das Thema ,Kunden und Mitarbeiter‘ uns auf den Nägeln brennt, lag nichts näher, als solch einen Abend aus erster Hand anzubieten.“

Zurück